Der Reizdarm (medizinisch: Reizdarmsyndrom) ist die häufigste Magen-Darm-Erkrankung in Deutschland. Die Krankheit tritt oft erstmals zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr auf, Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer.
Artikelinhalte im Überblick:
- Was ist ein Reizdarm?
- Welche Ursachen führen zum Reizdarm?
- Typische Symptome
- Diagnose nach Ausschlussprinzip
- Was tun?
- Verlauf der Erkrankung
Was ist ein Reizdarm?
Unter dem Begriff Reizdarmsyndrom (oder kurz Reizdarm) fasst man verschiedene Beschwerden zusammen, die sich im Bereich des Darms zeigen, aber keine organische oder stoffwechselbedingte Ursache haben.
In Deutschland leiden Millionen Menschen an einem Reizdarm, wobei die Schwere und die Häufigkeit der Beschwerden sehr unterschiedlich sind. In den meisten Fällen treten die Beschwerden nur selten oder in besonderen Lebenssituationen auf und die Stärke der Reizdarm-Symptome mindert die Lebensqualität nur wenig. In anderen Fällen kann ein Reizdarm den Alltag erheblich einschränken. Die Betroffenen sind frustriert und niedergeschlagen, ändern ihre Ernährungsgewohnheiten, verzichten auf zahlreiche Lebensmittel und meiden Restaurantbesuche sowie gesellschaftliche Verpflichtungen. In Extremfällen ziehen sich die Betroffenen zurück und isolieren sich von ihrer Umwelt.
Welche Ursachen führen zum Reizdarm?
Die genauen Ursachen für einen Reizdarm sind bis heute ungeklärt. Es gibt aber eine Reihe von Veränderungen, die bei Betroffenen mit Reizdarmsyndrom gefunden und für die Beschwerden verantwortlich gemacht werden. Jede einzelne Abweichung von der normalen Funktion des Darms erklärt aber die Schwere der Beschwerden nur unzureichend. Man geht davon aus, dass mehrere Faktoren zusammenkommen und dann die Symptome eines Reizdarms auslösen.
Störungen der Darmbewegung (Peristaltik): Der Transport der Nahrung durch den Darm und die Bewegungen der Darmabschnitte (Peristaltik) werden von einem sehr komplexen Nervensystem reguliert. Beim Reizdarm scheint die natürliche Peristaltik des Darms gestört zu sein, die Bewegungen zur Beförderung der verdauten Nahrung laufen deshalb nicht optimal ab.
Die Darmmuskulatur erhält vom Nervensystem fehlerhafte Informationen und die Muskeln ziehen sich zu schnell, zu langsam oder zur falschen Zeit zusammen. Wird der Nahrungsbrei dadurch zu schnell transportiert, kann ihm im Dickdarm nicht genügend Wasser entzogen werden. Die Folge ist Durchfall. Bewegt die Peristaltik dagegen den Nahrungsbrei zu langsam durch den Darm, entsteht daraus eine Verstopfung. Zieht sich die Darmmuskulatur zu stark zusammen oder entspannt nicht richtig, ist das der Grund für krampfartige Bauchschmerzen.Erhöhte Durchlässigkeit der Darmschleimhaut: Normalerweise sind die Zellen der Darmschleimhaut eng miteinander verbunden. Eine intakte Schleimhaut des Darms verhindert so, dass Fremdstoffe oder Krankheitserreger in den Darm eindringen können. Ist diese Barrierefunktion nicht vollständig intakt, können Symptome des Reizdarms durch die Abwehrreaktion des Immunsystems ausgelöst werden.
Erniedrigung der Schmerzschwelle im Darm: Bei Menschen mit Reizdarmsyndrom hat man festgestellt, dass ihr Darm übermäßig rasch mit Schmerzen reagiert. Dies passiert zum Beispiel bei Luftansammlungen, welche den Darm dehnen. Überhaupt scheint die Darmschleimhaut von Menschen mit Reizdarm besonders empfindlich auf chemische und mechanische Reize zu sein.
Störungen der natürlichen Darmflora: Gerät die natürliche Mischung der Bakterien im Darm aus der Balance, kann das die Darmfunktion beeinträchtigen und zu verstärkter Gasbildung beitragen. Ursachen für eine gestörte Darmflora können Medikamente wie Antibiotika, aber auch Magen-Darm-Infekte sein.
Psychische Faktoren: Stress, Nervosität, Angst, Kummer und andere psychische Einflüsse, wirken sich auf die Verdauung aus und können ein Reizdarmsyndrom begünstigen oder die Beschwerden im Darm verschlimmern. Akuter Stress erhöht die Magensaftproduktion und führt zur Verstärkung der Darmbewegungen sowie der Immunreaktionen im Darm.
Infektionen des Darms: Bei etwa zehn Prozent der Betroffenen mit Reizdarm lässt sich eine vorangegangene Infektion des Magen-Darmtraktes nachweisen. Insbesondere Reizdarmsyndrome mit starkem Durchfall sind häufiger auf bakterielle Infektionen zurückzuführen. Besonders Besiedelungen mit dem Erreger Campylobacter jejuni werden hier für die Beschwerden verantwortlich gemacht.
Erhöhte Anfälligkeit: Bei einigen Krankheiten tritt ein Reizdarm vermehrt als Begleiterkrankung auf. Bei Depressionen, Angsterkrankungen, chronischem Erschöpfungssyndrom, Fatigue-Syndrom, Fibromyalgie und dem chronischen Schmerzsyndrom findet sich sehr häufig ein Reizdarm als Komorbidität.
Es ist dagegen nicht belegt, dass zwischen Reizdarm, Ernährung und Lebensweise ein Zusammenhang besteht. Eine ungesunde Lebens- und Ernährungsweise, Alkohol- und Nikotinkonsum sowie ballaststoffarme Kost sind wahrscheinlich nicht ursächlich an der Entstehung eines Reizdarms beteiligt. Menschen mit Reizdarm halten sich sogar überdurchschnittlich oft mit dem Konsum von Genussmitteln und ungesunden Lebensmitteln zurück. Ein bestehendes Reizdarmsyndrom kann aber durch eine veränderte Ernährung und Lebensführung positiv beeinflusst werden.
Was sind typische Reizdarm-Symptome?
Die Beschwerden des Reizdarmsyndroms sind sehr unterschiedlich und ändern sich häufig. Trotzdem lassen sich typische Symptome eines Reizdarms finden. Bauchschmerzen, Druck- und Völlegefühl, Blähungen sowie Durchfall und Verstopfung sind dabei die Hauptbeschwerden. Je nachdem, welche dieser Symptome vorherrschend sind, lassen sich vier Haupttypen des Reizdarms unterscheiden: Durchfalltyp, Verstopfungstyp, Schmerztyp und Blähungstyp. Dabei kann aber jeder dieser Krankheitstypen in einen anderen übergehen oder sich mit einem anderen Typ abwechseln.
Charakteristisch für ein Reizdarmsyndrom sind folgende Symptome:
- unbestimmte Bauchschmerzen, sowie ein Gefühl des Unwohlseins
- Stuhlunregelmäßigkeiten mit Verstopfung oder Durchfall
- Hämorrhoidalleiden durch starkes Pressen bei anhaltender Verstopfung
- Blähungen und Völlegefühl
- Rücken-, Gelenk- und Kopfschmerzen
- weicher Stuhl, wenn die Schmerzen beginnen
- häufigerer Stuhlgang bei Schmerzbeginn, jedoch keine nächtlichen Beschwerden
- nachlassender Schmerz nach dem Stuhlgang
- deutlich sichtbarer Blähbauch
- subjektives Völlegefühl
- Schleimbeimengungen im Stuhl
- unvollständige Stuhlentleerung oder das Gefühl, dass der Darm nicht vollständig entleert ist
Diese Beschwerden können plötzlich und unvermittelt oder langsam und fortschreitend auftreten. Da die Symptome des Reizdarms so vielfältig sind, können ähnliche Beschwerden auch auf andere Krankheiten hinweisen. Umgehend Untersuchungen auf organische Krankheitsursachen sollten bei einer kurzen Krankheitsgeschichte, einem ungewollten Gewichtsverlust, Blut im Stuhl, einer stetigen Verschlechterung des Krankheitsbildes, nächtlichem Durchfall oder Fieber erfolgen. Dies gilt auch wenn die Symptome durch Stress nicht verschlimmert und sich in Entlastungssituationen nicht verbessern.
Ausschluss-Diagnose Reizdarmsyndrom
Nach Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) kann der Arzt die Diagnose Reizdarmsyndrom stellen, wenn die folgenden drei Punkte bei einem Betroffenen erfüllt sind:
- Der Betroffene leidet unter chronischen darmbezogenen Beschwerden, die seit mehr als drei Monaten anhalten
- Die Beschwerden beeinträchtigen die Lebensqualität deutlich
- Es liegen keine, für andere Krankheitsbilder charakteristischen Veränderungen vor, welche die Beschwerden erklären könnten
Der erste Schritt der Diagnose ist eine ausführliche Anamnese. Dabei werden die genauen Umstände und die Art der Beschwerden erfragt und Hinweise auf andere Krankheiten gesammelt. Hier sind auch Fragen zur Familiengeschichte, zu früheren Krankheiten und Operationen sowie zu den seelischen und sozialen Aspekten der aktuellen Lebenssituation von großer Bedeutung. Auch Hinweise auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten können wichtige Informationen sein.
Als zweiter Schritt zur Diagnose eines Reizdarms muss eine gründliche Untersuchung stattfinden. Narben können auf frühere Operationen hindeuten, die nun Probleme (zum Beispiel durch Verwachsungen) verursachen. Durch Abtasten des Bauches können Verdickungen des Darmes, Schmerzen und Luftansammlungen gefunden werden. Das Abhören der Bauchdecke mit dem Stethoskop liefert Rückschlüsse auf die Darmtätigkeit.
Bei Bedarf kann der Arzt weitere Untersuchungen veranlassen:
- Blutuntersuchungen (Entzündungswerte, Blutbild, Leberwerte, Bauchspeicheldrüsen- und Gallenwerte)
- Test auf Blut im Stuhl
- Urinuntersuchung
- rektale Tastuntersuchung (Austastung des Enddarms mit dem Finger)
- gynäkologische Untersuchung
- Ultraschalluntersuchung des Bauches
- Darmspiegelung (Koloskopie)
- Magenspiegelung (Gastroskopie)
- Computer- oder Magnetresonanztomografie
- Untersuchung des Stuhls auf Parasiten wie zum Beispiel Würmer
- Tests auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten
- Tests auf Nahrungsmittelallergien
Reizdarm: was tun?
Die Behandlung eines Reizdarmsyndroms ist meist schwierig und oft unbefriedigend. Aufgrund der häufig wechselnden Symptome und der vielen möglichen Auslöser, können ärztliche Empfehlungen oft nur allgemeiner Natur sein. Die Betroffenen müssen lernen, sich selbst gut einzuschätzen und bei den unterschiedlichen Beschwerden die Behandlung anzuwenden, die für sie selbst gerade hilfreich ist.
Dennoch gibt es im Allgemeinen ein paar Maßnahmen, die bei der Behandlung eines Reizdarms langfristig helfen können:
- Ernährungsumstellung: regelmäßige Mahlzeiten, kleine Bissen essen, gut kauen und nicht schlingen, ausreichend trinken (Wasser, ungesüßter Tee), blähende und schwer verdauliche Speisen meiden
- Ernährungstagebuch: Herausfinden, welche Speisen man verträgt und welche nicht
- ausreichend Bewegung
- Probiotika für eine gesunde Darmflora
- Stress vermeiden und auf ausreichende Erholungsphasen achten
- Entspannung durch Methoden wie Autogenes Training, Yoga, Progressive Muskelentspannung
- psychotherapeutische Verfahren
- Hypnosetherapie
Kommt es infolge des Reizdarmsyndroms häufiger zu Durchfall, helfen wasserlösliche Ballaststoffe wie Flohsamenschalen, Johannisbrotkernmehl und Pektin. Auch Gerbstoffe, die beispielsweise in schwarzem Tee oder Eichenrindentee entstehen, wenn dieser lange zieht sind ein hilfreiches Hausmittel.
Bei Verstopfung dagegen können körperliche Bewegung, eine ballaststoffhaltige Ernährung und eine erhöhte Trinkmenge (zwei bis drei Liter) die Verdauung antreiben. In schweren Fällen können auch abführende Medikamente, meist in Form von Miniklistieren oder Zäpfchen sowie Einläufe eingesetzt werden.
Schmerzen, Krämpfen und Blähungen sind häufig bei Reizdarm – sie lassen sich mit lokalen Wärmeanwendungen (Wärmflasche, Kirschkernkissen) oder schmerzstillenden und krampflösende Medikamente bekämpfen. Weiterhin hilft die Einnahme von Pfefferminzöl und Kümmelöl – auch der Bauch kann damit eingerieben werden. Als Tee oder Gewürz in Speisen eignen sich Fenchel, Anis und Kümmel. Eine weitere Möglichkeit bei diesen Beschwerden sind entschäumende Medikamente.
Verlauf Reizdarm: wie geht es weiter?
Reizdarmsyndrome zeigen meist sehr individuell unterschiedliche Verläufe. Die Symptome können zu- und wieder abnehmen, ganz aussetzen, aber auch wiederkehren. Durchfall, Verstopfung, Schmerzen und Blähungen wechseln sich oft in kurzer Folge ab. Meist beeinträchtigt die Krankheit die Lebensqualität ganz erheblich.
Kennen Betroffene die Auslöser für ihre Beschwerden, haben sie eine bessere Prognose. Es gelingt etwa 34 Prozent der Patienten, durch gezielte Verhaltensänderungen und Therapiemaßnahmen beschwerdefrei zu werden oder zumindest eine deutliche Linderung ihrer Symptome zu erreichen. Eine schlechtere Prognose haben Menschen, bei denen der Reizdarm schon längere Zeit besteht. Etwa jeder zweite Betroffene entwickelt dann ein chronisches Reizdarmsyndrom, an dem er viele Jahre oder sogar sein ganzes Leben leidet.